top of page

Der Mythos des rassetypischen Fehlverhaltens: Eine tiefere Betrachtung

Die Aussage, dass Fehlverhalten bei Hunden oft eine rassetypische Eigenschaft sei, ist ein weit verbreiteter Mythos, der sowohl aus wissenschaftlicher als auch ethischer Sicht problematisch ist. Dieser Mythos führt zu Missverständnissen über das Verhalten von Hunden und trägt zu ungerechtfertigter Diskriminierung bestimmter Rassen bei. In diesem Artikel beleuchten wir, warum diese Annahme nicht korrekt ist und welche Faktoren tatsächlich das Verhalten von Hunden prägen.

1. Individuelle Unterschiede zwischen Hunden

Es gibt keine „universellen“ Verhaltensweisen, die auf jede Rasse zutreffen. Jeder Hund ist ein Individuum mit einer eigenen Persönlichkeit, die durch eine Vielzahl von Faktoren geprägt wird. Diese Faktoren sind oft komplexer und vielseitiger, als es eine pauschale Zuschreibung von Fehlverhalten nach Rassen zulässt.

Erziehung

Die Erziehung eines Hundes hat einen tiefgreifenden Einfluss auf sein Verhalten. Studien belegen, dass Hunde, die in einem stabilen, liebevollen und strukturierten Umfeld aufwachsen, weniger wahrscheinlich Verhaltensprobleme entwickeln. Beispielsweise fand eine Studie von Serpell (1995) heraus, dass Hunde, die eine positive und konsequente Erziehung genießen, weniger wahrscheinlich aggressives Verhalten zeigen, auch wenn ihre Rasse dazu neigen könnte.

Umwelt
Die Umgebung, in der ein Hund lebt, hat ebenfalls einen enormen Einfluss auf sein Verhalten. Hunde, die in einem stressigen oder chaotischen Umfeld aufwachsen, haben ein höheres Risiko, ängstlich oder aggressiv zu werden. Eine Studie von Herron et al. (2009) zeigte, dass Hunde, die in stressigen Verhältnissen leben, häufiger problematisches Verhalten wie Aggression oder Angst zeigen, unabhängig von ihrer Rasse.

Genetik
Natürlich spielt die Genetik eine Rolle im Verhalten eines Hundes. Bestimmte Rassen haben durch ihre Zuchtgeschichte verhaltensspezifische Merkmale entwickelt, die für ihre ursprünglichen Aufgaben, wie etwa Jagd, Hüten oder Schutz, sinnvoll sind. Karen L. Overall (2013) fand heraus, dass Rassen wie der Border Collie, die ursprünglich als Hütehunde gezüchtet wurden, oft ein hohes Maß an Energie und Beschäftigung brauchen. Dies kann zu unerwünschtem Verhalten führen, wenn sie nicht ausreichend ausgelastet werden. Doch auch hier zeigt sich, dass Verhaltensweisen, die als problematisch erscheinen, oft durch mangelnde Auslastung oder falsche Erziehung ausgelöst werden, nicht durch die Rasse selbst.

2. Vermenschlichung des Verhaltens

Ein zentraler Fehler in der Annahme, dass Fehlverhalten eine rassetypische Eigenschaft sei, liegt in der Vermenschlichung des Hundeverhaltens. Hunde haben ihre eigene Art der Kommunikation und Interaktion, die sich grundlegend von menschlichem Verhalten unterscheidet. Oft werden Hunde aufgrund von Missverständnissen als „bösartig“ oder „aggressiv“ angesehen, wenn sie tatsächlich lediglich auf eine bestimmte Situation reagieren, die für sie bedrohlich ist.

Beispielsweise wird das Bellen eines Hundes in vielen Fällen als aggressives Verhalten interpretiert, obwohl es sich um eine natürliche Kommunikationsweise handelt, die von Hund zu Hund und in unterschiedlichen Kontexten variieren kann. Studien wie die von Hiby et al. (2004) zeigen, dass die Reaktion eines Hundes auf Menschen oder andere Tiere stark von seiner Sozialisation und den Erfahrungen im frühen Leben abhängt.

3. Diskriminierung durch Rassenzuschreibungen
Ein weiterer negativer Aspekt der Annahme, dass Fehlverhalten eine rassetypische Eigenschaft sei, ist die Förderung von Diskriminierung. Hunde aus bestimmten Rassen, wie zum Beispiel Pitbulls oder Rottweilern, werden oft vorverurteilt und als gefährlicher eingestuft, obwohl es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass diese Rassen grundsätzlich aggressiver sind als andere. Tatsächlich hat eine Studie von Duffy et al. (2008) gezeigt, dass Aggressionen bei Hunden nicht rassenspezifisch sind, sondern oft auf mangelnde Sozialisation, unsachgemäße Haltung und traumatische Erfahrungen zurückzuführen sind.
Diese Diskriminierung führt nicht nur zu einem falschen Bild von bestimmten Rassen, sondern hat auch praktische Folgen, wie etwa das Verbot oder die Einschränkung der Haltung bestimmter Hunderassen in einigen Ländern oder Städten. In einigen Fällen werden Hunde aufgrund ihrer Rasse in Tierheimen isoliert oder sogar eingeschläfert, was zu einer unnötigen Belastung für die Tiere und ihre Halter führt.

4. Eine korrektere Sichtweise
Eine fundierte Aussage wäre: „Das Verhalten eines Hundes ist das Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung von Genetik, Erziehung und Umwelt. Es gibt keine Rasse, die per se für bestimmte Verhaltensweisen verantwortlich ist.“
Diese Ansicht wird auch durch die American Veterinary Society of Animal Behavior (AVSAB) unterstützt, die betont, dass die Erziehung und Sozialisation eines Hundes entscheidende Faktoren für sein Verhalten sind, unabhängig von seiner Rasse.

5. Warum es wichtig ist, diesen Mythos zu widerlegen

Tierschutz
Es ist von entscheidender Bedeutung, jedes Tier als Individuum zu betrachten und nicht aufgrund von Vorurteilen oder Mythen zu beurteilen. Diese Vorurteile können dazu führen, dass Hunde unnötig vernachlässigt oder falsch behandelt werden. Das Verständnis, dass Fehlverhalten auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen ist, fördert eine verantwortungsvolle Haltung und bessere Pflege.

Verantwortungsvolle Hundehaltung
Die Erziehung und Sozialisierung eines Hundes spielen eine entscheidende Rolle für sein Verhalten. Hundehalter sollten sich bewusst sein, dass die Entwicklung eines Hundes maßgeblich von der Art und Weise abhängt, wie er erzogen wird und wie er in den ersten Lebensjahren sozialisiert wird. Ein Hund, der falsch behandelt oder unzureichend sozialisiert wird, wird mit größerer Wahrscheinlichkeit problematische Verhaltensweisen entwickeln.

Gesellschaftliche Akzeptanz
Mythen über „böse“ oder „aggressive“ Rassen führen zu einer negativen gesellschaftlichen Haltung gegenüber bestimmten Hunderassen und erschweren es diesen Hunden, ein passendes Zuhause zu finden. Die Verbreitung solcher Mythen kann dazu führen, dass potenzielle Hundebesitzer sich von bestimmten Rassen abwenden, ohne die individuelle Persönlichkeit des Hundes kennenzulernen.

6. Was kann man stattdessen sagen?

  • „Das Verhalten eines Hundes ist sehr individuell und wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter Erziehung, Sozialisation und Umwelt.“
  • „Eine gute Erziehung und Sozialisierung sind die Grundlage für das Wohlbefinden eines Hundes und seine gute Integration in die Gesellschaft.“
  • „Es gibt keine ‚bösen‘ Hunderassen, sondern nur Hunde, die falsch behandelt oder nicht richtig ausgebildet wurden.“


Schlussfolgerung:
Die Vorstellung, dass Fehlverhalten eine rassetypische Eigenschaft sei, ist ein gefährlicher Mythos, der auf wissenschaftlich nicht haltbaren Annahmen basiert und zu Vorurteilen und Diskriminierung führt. Das Verhalten eines Hundes ist vielmehr das Resultat einer komplexen Wechselwirkung von Genetik, Erziehung und Umwelt. Jedes Tier sollte als Individuum betrachtet werden, das die Chance auf eine positive Entwicklung verdient. Durch eine verantwortungsvolle Erziehung und eine frühe, positive Sozialisation kann jeder Hund zu einem wohlerzogenen und ausgeglichenen Begleiter werden. Referenzen: Karen L. Overall (2013) 
- Manual of Clinical Behavioral Medicine for Dogs and Cats Herron et al. (2009) 
- A prospective study of the risk factors for canine aggression James Serpell (1995)
-The Domestic Dog: Its Evolution, Behaviour and Interactions with People Hiby et al. (2004)
- Dog training methods: Their use by private owners and their effectiveness for dogs’ behavior. Duffy et al. (2008) - Breed differences in canine aggression

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page