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Mythen im Hundetraining auf dem Prüfstand – Was sagt die Wissenschaft wirklich?

In kaum einem anderen Bereich kursieren so viele Halbwahrheiten und überholte Vorstellungen wie in der Hundeerziehung. Oft werden alte Denkweisen unkritisch übernommen, in Ratgebern perpetuiert oder auf Social Media als unumstößliche Regeln dargestellt. Doch moderne Verhaltensforschung hat viele dieser Annahmen längst widerlegt – und eröffnet neue, tierschutzgerechte Wege im Training.
In diesem Artikel werfen wir einen wissenschaftlich fundierten Blick auf die gängigsten Mythen im Hundetraining, erklären ihre Entstehung und zeigen auf, was heute wirklich als zeitgemäß und sinnvoll gilt.
Mythos 1: „Du musst der Rudelführer sein“
Diese Idee stammt aus der sogenannten Dominanztheorie, die sich in den 1970er Jahren aus Beobachtungen von Wölfen in Gefangenschaft entwickelte. Die Annahme war: In einem Wolfsrudel herrscht ein dominanter „Alpha“, dem sich alle unterordnen müssen – und da Hunde vom Wolf abstammen, müsse auch der Mensch eine solche Rolle einnehmen.
Spätere Feldstudien, vor allem von David Mech, zeigten jedoch: Wölfe leben in Familienverbänden, nicht in strengen Hierarchien. Das sogenannte Alphatier ist meist ein Elterntier, das durch Erfahrung und soziale Bindung führt – nicht durch Dominanz oder Zwang.
Zudem sind Hunde keine Wölfe. Sie haben sich in Verhalten, Genetik und Sozialstruktur deutlich vom Vorfahren entfernt. Die Annahme, ein Hund wolle die „Rangordnung“ infrage stellen, ist wissenschaftlich nicht haltbar.
Was wirklich zählt: Führung im Hundetraining bedeutet Klarheit, Verlässlichkeit und Bindung – nicht Kontrolle oder Unterwerfung.
Mythos 2: „Der Mensch muss immer zuerst durch die Tür gehen“
Auch dieser Gedanke entspringt der Dominanzlehre: Wer zuerst geht, zeigt Führungsanspruch. In Wahrheit hat die Reihenfolge beim Türdurchgang keinerlei Einfluss auf das soziale Gefüge zwischen Mensch und Hund. Hunde laufen oft schlicht deshalb vor, weil sie motivierter, aufgeregt oder neugierig sind.
Natürlich kann es sinnvoll sein, das Verhalten am Türrahmen zu trainieren – etwa um Impulskontrolle zu fördern oder das Herausstürmen auf die Straße zu verhindern. Doch es geht dabei nicht um eine Frage der „Rangfolge“, sondern um Sicherheit und Aufmerksamkeit.
Was wirklich zählt: Der Hund soll auf Signale achten und sich am Menschen orientieren – unabhängig davon, wer zuerst durch die Tür geht.

Mythos 3: „Wenn der Hund auf die Couch darf, denkt er, er ist der Chef“
Der Glaube, Hunde beanspruchten durch erhöhte Liegeplätze die Führungsrolle, ist ein Relikt aus der Vergangenheit. Tatsächlich suchen Hunde bevorzugt warme, weiche Plätze – und oft einfach die Nähe zu ihren Bezugspersonen.
Ob ein Hund aufs Sofa darf oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung. Wissenschaftlich gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem Aufenthaltsort und einem vermeintlichen Dominanzverhalten.
Was wirklich zählt: Klare Regeln und Konsequenz – nicht das Möbelstück. Es ist eine Haushaltsfrage, keine Frage der Macht.

Mythos 4: „Das regeln die Hunde unter sich“
Diese Aussage hört man oft auf Hundewiesen. Doch Konflikte ungefiltert laufen zu lassen, kann riskant sein – vor allem, wenn die beteiligten Hunde unterschiedliche soziale Kompetenzen haben oder die Situation überfordernd ist.
Nicht jeder Hund ist in der Lage, Konflikte deeskalierend zu lösen. Eingreifen bedeutet nicht, dem Hund etwas „abzunehmen“, sondern Verantwortung zu übernehmen – etwa durch vorausschauendes Management, Distanzaufbau oder gezieltes Üben sozialer Interaktion.
Was wirklich zählt: Gute Sozialkontakte brauchen Begleitung, Schutz und passende Lernbedingungen – nicht das Prinzip Hoffnung.
Mythos 5: „Angst muss man ignorieren, sonst verstärkt man sie“
Ein weit verbreitetes Missverständnis: Man dürfe Angst nicht beachten, da sie sonst „belohnt“ werde. Doch Emotionen wie Angst sind keine Verhaltensweisen, die durch Zuwendung verstärkt werden können. Was verstärkt wird, ist Verhalten – nicht Gefühl.
Ignoriert man einen ängstlichen Hund, kann das zu tieferem Stress, Rückzug oder auch zu aggressivem Verhalten führen. Stattdessen hilft es dem Hund, wenn sein Mensch souverän reagiert, Sicherheit bietet und ihn durch die Situation begleitet.
Was wirklich zählt: Angst ist real. Ein einfühlsamer Umgang schafft Vertrauen und hilft dem Hund, sich langfristig sicherer zu fühlen.

Mythos 6: „Ein reaktiver Hund braucht eine harte Hand“
Reaktive Hunde reagieren stark auf Reize – sei es aus Angst, Unsicherheit oder schlechter Erfahrung. Härte, Zwang oder „Durchgreifen“ führen hier jedoch nicht zur Lösung, sondern verschlimmern meist die Problematik.
Die moderne Verhaltenstherapie setzt auf Ursachenforschung, gezielte Trainingsschritte, Stressreduktion und vor allem auf positive Verstärkung. Ein reaktiver Hund braucht Struktur, Verlässlichkeit und Hilfe bei der Bewältigung seiner Emotionen – keine Strafe.
Was wirklich zählt: Je größer die Unsicherheit, desto mehr braucht der Hund einen stabilen, verlässlichen Partner an seiner Seite – nicht Druck, sondern Verständnis.

Fazit: Wissen statt Mythen – für eine neue Beziehungskultur
Viele Trainingsmythen basieren auf überholten Vorstellungen von Kontrolle, Macht und Unterordnung. Die moderne Wissenschaft zeigt deutlich: Hunde brauchen keine Alpha-Menschen – sie brauchen Menschen, die verlässlich, verständnisvoll und klar in ihrer Kommunikation sind.
Wird Training auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt aufgebaut, entstehen stabile Beziehungen – und langfristig auch die erwünschten Verhaltensänderungen. Wer sich von alten Denkmustern löst, öffnet Raum für mehr Harmonie, Sicherheit und echte Partnerschaft zwischen Mensch und Hund.
Weiterführende Quellen:
  • Mech, David L. (2000): Alpha Status, Dominance, and Division of Labor in Wolf Packs
  • Bradshaw, J.W.S. (2011): Dog Sense
  • Range & Virányi (2014): Social learning in dogs and wolves

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